… die Häuser denen, die drin wohnen, …
Seit der Finanzkrise 2008 lassen sich mit Immobilien recht gut Geschäfte machen, z.b. als Wertanlage.
Wechselt ein Mietshaus den/die Besitzer_in, stehen den Bewohner_innen allerdings oft genug schwere Zeiten mit zahlreichen Schikanen bevor, wie Mietpreiserhöhungen oder Verdrängen aus der Wohnung.
In Österreich existiert zwar ein Mietrechtsgesetz, welches aber praktisch nie zur Anwendung kommt.
Mieter_innen wagen zumeist nicht gegen unfaire Mietvetrräge und sonstige Repressionen anzukämpfen und Verstrickungen bis in die Politik lassen sich vermuten.
Ein möglicher Ausweg wäre eine selbstbewusste Mieter_innenselbsthilfe.
In der kritischen Wissenschaft wird die Verdrängung von sogenannten „Altmieter_innenbeständen“ als Gentrifizierung bezeichnet.
Genauer gesagt beschreibt Gentrifizierung den Prozess einer Aufwertung bestimmter Stadtviertel und zugleich die Verdrängung der angestammten Bevölkerung zugunsten einer sozioökonomisch besser gestellten, neuen Bewohner_innenschaft.
Der Begriff stammt aus dem Englischen ( „gentryfication“) und wurde schon in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von Ruth Glass verwendet, die die sozioökonomischen Veränderungen im Londoner Stadtteil Islington untersuchte.
Gentrifizierungsvorgänge lassen sich aber bis in die römische Antike zurückverfolgen.
Kreuzberg, Friederichshain oder Prenzlauer Berg in Berlin, die Lower Eastside in New York oder das Karmelter- und das Brunnenmarktviertel in Wien sind bekannte Beispiele für Gentrifizierungen.
Steigende Preise ( für renovierte Wohnungen und Häuser sowie z.b. in neu entstandenen Lokalen) führen zu einer Abwanderung der ärmeren Bevölkerung und zu einem Zuzug von besserverdienenden Schichten. Zudem scheinen sich manche hauseigentümer_innen eigenartiger Praktiken zu bedienen, wenn es darum geht, den sogenannten „Altmieter_innenbestand“ loszuwerden. Das birgt natürlich einiges an Konfliktpotential.
Leerstand beschreibt die gebaute Architektur oder Umwelt, die nicht mehr genutzt wird oder bei der die vorgesehene Nutzung nicht mehr stattfindet.
Leerstände werden nach Dauer und Ursache in verschiedene Kategorien eingeteilt bzw. beschrieben ( z.b. konjuktureller, struktureller oder spekulativer Leerstand).
Von Leerstand betroffen können Wohngebäude, ganze Industriebrachen oder auch nie fertiggestellte Baukomlpexe, etwa nach Baupleiten, sein.
Leerstand geht oft auch einher mit finanziellen Interessen, wie z.b. in Spanien.
Besonders problematisch wird es dort, wo es zwar viel Wohnraum gäbe, Mietpreise aber unleistbar werden und deshalb Wohnungen leer stehen.
Zwischennutzung ist eine zeitlich begrenzte Nutzung von Räumen, meist zu sehr günstigen Preisen.
Zwischennutzungsverträge werden von Komunnen gerne an experimentierfreudige, kreative Personen, soziale Initiativen oder auch Stadtteilbewohner_innen vergeben, in der Hoffnung, dass z.b. damit Stadtteile aufgewertet werden oder vor Vandalismus geschützt werden können.
Zwischennutzung kann so natürlich zur Gentrifizierung eines Stadtviertels führen.
Problematisch ist weiters, dass die Nutzungsbedingungen – mangels gesetzlicher Grundlage – nicht wirklich im Sinne der Nutzer_innen sind.
Ein Beispiel für Zwischennutzung ist das Sprungbrett Aspern, eine Plattform für experimentelles Bauen in der Seestadt Aspern, die von 2012 bis 2014 dort bestand.
Eine Zwischennutzung der besonderen Art war das Haus in der Mühlfeldgasse 12 in Wien- Leoploldstadt, auch bekannt als Pizzeria Anarchia.
Im November 2011 erhielten einige Personen von der Hauseigentümerin zeitlich befristete, unentgeltliche Mietverträge in diesem Haus. Vermutungen zufolge sollten sie als „Störenfriede“ agieren, um Altmieter_innen aus dem Haus zu vertreiben. Allerdings wendete sich das Blatt. Die Personen solidarisierten sich mit den drei verbliebenen ursprünglichen Mietparteien und der Nachbar_innenschaft und im im Haus befindlichen Ecklokal entstand ein Raum für kulturelle Veranstaltungen, eben die Pizzeria Anarchia.
Die Personen blieben dann auch nach Ablauf der Mietverträge. Das Haus galt jetzt als besetzt.
Für den 28. Juli 2014 war der Räumungstermin angesetzt.
Die Räumung, die den ganzen Tag andauerte, war entsprechend spektakulär. Die Polizei musste allerhand Gerät auffahren, um nach Stunden überhaupt ins Haus zu gelangen.
19 Hausbesetzer_innen standen 1500 Polizist_innen gegenüber. Es wurden Fragen nach der Verhältnismäßigkeit eines derartigen Polizeieinsatzes laut und auch die Kostenfrage, wer das alles zu zahlen hätte, ist noch längst nicht geklärt.
Natürlich ist nicht jede Delogierung so aufsehenerregend. Der Fall der Pizzeria Anarchia kann dennoch als exemplarisch herangezogen werden. Einerseits als Gentrifizierungsobjekt mit allen Tücken, andrerseits aber auch für solidarische Nachbar_innenschaft und für mögliche Lösungsvorschläge im Sinne derer, die in den Häusern wohnen.
Interviewpartner_innen:
Anna Hirschmann, Filmemacherin, Hobbyphilosophin
www.annahirschmann.info
Elke Rauth
stv. Obfrau des Vereins derive-Stadtforschung
Mitherausgeberin von derive- Zeitschrift für Stadtforschung
Redaktionsmitglied von derive- Radio für Stadtforschung ( jeden 1. Dienstag im Monat um 17.30 auf Radio Orange)
www.derive.at
Kurto Wendt, Buchautor, Aktivist
www.kurto.at
Leerstandspetition zum Unterschreiben ( bis Ende August 2014)
leerstand.igkulturwien.net
Mieter_innenorganisationen:
MSZ – Mieter_innenselbsthilfezentrum der KPÖ
www.mieterselbsthilfe.kpoe.at, email: [email protected]
Mieter_innenschutz österreich
www.mieterschutzverband.at
Mieter_innenvereinigung
https://mietervereinigung.at
Mieter_innen- Interessens- Gemeinschaft österreich
mig.at
lesen:
Der Juli geht aufs Haus
Kurto Wendt, Zaglossus Verlag, März 2014
hören:
Radio Orange/ o94 spezial: Räumung der Pizzeria Anarchia: cba.media/265433
Radio Helsinki/ von unten/ Augenzeugenbericht:
cba.media/265473
Radio Orange/ trotzallem vom 1.8.2014: cba.media/265696
sehen:
Doku zur Räumung der Pizzeria Anarchia von wientv.org
Wir sind die Neuen ( D 2014, Regie: Ralf Westhoff)
http://www.wirsinddieneuen.x-verleih.de/
Musik zur Sendung: Ton.Steine.Scherben/ Rauchhaussong
Unsere Signation bzw. kurze musikalische Begleitung ist unter CC-Lizenz folgendem Titel entnommen:
• „Coolman“ aus dem Album „Kogani“ der Formation Suerte
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